"Die Fortsetzung dieses widersprüchlichen Trends ist jedoch nicht weiter erstaunlich: Je weniger die Wirtschaft auf die geldpolitische Unterstützung reagierte, desto weiter musste diese verstärkt werden. Dies trieb die Aktienmärkte immer mehr nach oben.
In diesem Jahr erlebten wir einen beispiellosen externen Schock: Regierungen rund um den Globus verhängten von heute auf morgen eine nahezu vollständige Stilllegung der Wirtschaftsaktivität, weil sie ihre Bevölkerung gegen das Risiko einer Ansteckung mit einem gefährlichen Virus schützen mussten. Anfangs gerieten die Märkte durch diese wirtschaftliche Katastrophe in Angst und korrigierten massiv. Insgesamt verzeichneten die weltweiten Aktienmärkte binnen Monatsfrist Einbußen von 30 bis 40%. Doch wie entwickelt sich die Lage seitdem? Regierungen und Zentralbanken stehen mehr denn je in der Pflicht zu intervenieren, um die Wirtschaftsaktivität zu stützen oder zumindest den Versuch zu unternehmen, irreparable Schäden an den Unternehmen und der Kaufkraft der Verbraucher zu verhindern. Es steht ernsthaft infrage, ob all diese Unterstützung nach dem Ende der Krise noch gesteigert werden kann, um das Wachstum wirklich anzukurbeln. Darüber hinaus weiß niemand, wann die Epidemie tatsächlich Geschichte sein wird. Allem Anschein nach müssen wir uns eher daran gewöhnen, noch eine Weile mit ihr zu leben und bei unseren Kontakten, Reisen und Freizeitaktivitäten vorsichtiger zu sein. Die Unternehmen werden zweimal überlegen, bevor sie Investitionen wieder hochfahren und neues Personal einstellen: Sie müssen zuerst ihre Bilanzen von dem Ballast befreien, der sich durch die Überlebenskredite während der Stilllegung angesammelt hat. Die Arbeitnehmer dürften daher etwas zurückhaltender konsumieren, zumal ihnen die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes gefährdet erscheinen könnte. Nun, da nicht nur das Wirtschaftswachstum eingebrochen ist, sondern auch von einer langsamen Erholung ausgegangen wird, stellt sich die Frage, warum die weltweiten Aktienmärkte um mehr als 20% zugelegt haben. Weil Widersprüche hartnäckig sind. Regierungen und Zentralbanken haben keine andere Wahl, als die Flucht nach vorne anzutreten: Die Zentralbanken müssen nun ihre Käufe auf andere Anlageklassen als Staatsanleihen ausweiten. Da sie die Akteure stärker denn je ermutigen, sich nach Bedarf zu verschulden, müssen sie zwangsläufig niedrige Zinssätze sicherstellen. Und die Regierungen müssen jegliche Regeln für ausgeglichene Haushalte vergessen.
Legen diese Umstände nicht den Schluss nahe, dass die geleistete Unterstützung höhere Unternehmensbewertungen rechtfertigt?
Wenn Schulden nicht mehr gefährlich sind, weil die Zentralbanken direkt oder indirekt dafür bürgen, wenn es kaum Insolvenzen gibt, weil die Regierungen eingreifen, und wenn Beschäftigung auf breiter Front subventioniert wird, verschwinden die Kosten für das Risiko. Wenn es ausreicht, sich zu verschulden, um Arbeitskräfte zu bezahlen, und der Wert eines Unternehmens kaum noch von seiner Gewinnfähigkeit abhängt, können sich die Aktienmärkte ruhig den Gesetzen der Schwerkraft entziehen. Iwan Karamasow hätte gesagt, dass alles erlaubt ist, wenn es keine Regeln mehr gibt.
Naturgemäß kann nur die harte Wirklichkeit diesem Sinnieren ein Ende bereiten: Der tatsächliche, von einer Volkswirtschaft geschaffene Reichtum spiegelt sich früher oder später im inneren Wert ihrer Währung wider. Wahrscheinlich wird irgendwann ein Knall aus dieser Richtung den Traum von der Schwerelosigkeit beenden."
Didier Saint-Georges, Mitglied des Investmentkomitees, Carmignac
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